Starkart Urban Art Exhibitions

 Brauerstrasse 126  8004 Zürich  info@starkart.org  
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O F F S P A C E

28. August – 25. September 2015

O F F S P A C E

Sie sind anonym. Sie sind viral, rücksichtslos und unerwünscht. Unbeteiligte Passanten laufen täglich an ihnen vorbei. Sie entstehen nebenbei und kommen selten alleine. Sie erscheinen auf Strassenpfeilern, Mülltonnen, Fassaden, Kunst im öffentlichem Raum, historischen Bauten und religiösen Einrichtungen. Sie lassen keine Oberfläche im urbanen Raum aus. Seit Jahren überziehen sie weltweit Vor- und Innenstädte, zerstören ihr sauberes Image und richten dabei gewaltigen Sachschaden an. Doch haben Sie sich schon einmal heutige Städte ohne TAGS und Graffiti vorgestellt? Wer weiss eigentlich genau was diese TAGS bedeuten? Und was passiert kulturell und symbolisch, wenn TAGS plötzlich auf einem Werbeplakat abgebildet werden?
O F F S P A C E bietet eine Begegnung mit den missverstandenen Zeichen und einen spekulativen Ausblick zu ihrer zukünftigen Entwicklung.

Spekulative Spurensuche in drei Akten
STARKART – URBAN ART EXHIBITIONS ist seit 2009 auf Kunst im urbanen Raum, sowie experimentelle Ausstellungsformate spezialisiert. Mit der Ausstellung
O F F S P A C E – Spekulative Spurensuche, wird dem Phänomen TAGS erstmals in der Schweiz eine eigene Ausstellung gewidmet. TAGS werden in populären Medien primär als Plage dargestellt, gleichzeitig jedoch für Werbung verwendet. Für die Urban Art Galerie Grund genug, die unerwünschten Zeichen genauer unter die Lupe zunehmen. „OFFSPACE“ beleuchtet den Kreislauf den jede Subkultur früher oder später durchläuft: Entstehung, Vermarktung und Auflösung. Die Ausstellung verwandelt entsprechend dreimal und zu jeder Transformation wird eine Vernissage gefeiert. TAGS werden im Zusammenhang mit ihrer Kommerzialisierung sowie dem Verhältnis zu Streetart gezeigt.

Kunst ohne Ich
Um in unserem digitalen und beschleunigten Zeitalter kritische Kunst zu entwerfen, braucht es anstatt leerer postmoderner Selbstreflexionen wieder mehr Vorstellungskraft. Nur so kann dem komplexen Status quo etwas Frisches entgegen gestellt werden und unsere Welt neu gedacht werden. In einer spekulativen Vorausschau, zeigt die Ausstellung deshalb auch, wie die Zukunft des Phänomens aussehen könnte.

Jugendworkshop, öffentliche Führung und Filmscreening
Die erste Vernissage am 28. August 2015 präsentiert Teil 1 ENTSTEHUNG. 
Am 5. September, in der langen Nacht der Museen, gibts ein Filmscreening zum Thema TAGS Bad Seeds.
 Am 11. September, wird Teil 2 VERMARKTUNG eröffnet. Dazu gibts eine öffentliche Führung durch die Ausstellung, durchgeführt von Catherine Eisendle, als auch eine Filmvorführung. Das Finale ist Teil 3 AUFLÖSUNG.

In Zusammenarbeit mit dem Verein Home of Arts ein zweitägiger Workshop für Jugendliche ab 12 Jahren unter dem Motto „Tag und Throw-Ups“ angeboten. Workshop Samstag und Sonntag, 19. und 20. September 2015. Jeweils 13 Uhr bis 16 Uhr.
Tags und Throw-Ups, Jugendworkshop für Jugendliche ab 12 Jahren in
Zusammenarbeit mit dem Verein Home of Arts (HOA). 
Weitere Infos unter: starkart.org oder home-of-arts.ch Anmeldung unter: cat@starkart.org

Ausstellungstext

Medienmitteilung

O F F S P A C E – Spekulative Spurensuche
• 28. August bis 25. September 2015
• STARKART – URBAN ART EXHIBITIONS
• Brauerstrasse 126, 8004 Zürich
• Öffnungszeiten: Do / Fr 18 – 20 Uhr, Sa 14 – 20 Uhr
• 1. Vernissage: Freitag, 28. August 2015, 19 Uhr
• 2. Vernissage: Freitag, 11. September 2015, 19 Uhr
• 3. Vernissage: Freitag, 25. September 2015, 19 Uhr

O F F S P A C E

They are anonymous. They are viral, reckless and undesirable. They grow where they can. Innocent bystanders run daily past ’em. They arise casually and rarely come alone. They appear on street posts, dustbins, facades, on art in public spaces, historic buildings and religious institutions. No surface in urban areas is safe from them. For years, they cover most suburbs and inner cities, destroy their proper image and cost a fortune to clean.
But have you ever imagined today’s cities without tags and graffiti ? Who knows actually exactly what is the meaning of TAGS? And what happens culturally and symbolically, if TAGS are suddenly displayed on a advertising poster? The exhibition offers an encounter with the misunderstood character of TAGS and a speculative view to their future development.

Speculative Tracing in three acts
Starkart – URBAN ART EXHIBITIONS specializes since 2009 on art in urban spaces and also experimental exhibition formats. With the exhibition O F F S P A C E – Speculative tracing, for the first time in Switzerland (possibly even the world?), an exhibition is dedicated to the phenomenon of TAGS. TAGS in mainstream-media are predominantly presented as a plague, but simultaneously used for advertising. Hence for us reason enough to examine the unwanted characters. O F F S P A C E examines the cycle which every subculture, sooner or later is going thru: creation, marketing and disintegration. The show will be transformed accordingly three times. Each transformation is “celebrated” as a kind of vernissage. Tags are shown in connection with their commercialization and the relation to street art.

Art without Me
To make art in our accelerated digital era, instead of empty postmodern self reflections – it needs more imagination, more… post-contemporary-art. This is the only way the complex status quo can be opposed and our current art paradigm has a chance to be rethought and reformed. In a speculative perspective, this exhibition wants to show how the future of the phenomenon TAGS might look.

Workshop, public tours and movie screening
The first opening on August 28, presents Part1 “CREATION”. On September 5. the Long Night of Museums, a film screening, plus a special event are planned. On September 11., Part2 “MARKETING” a second opening is celebrated. At this time a public tour is conducted by Catherine Eisendle through the exhibition and film screening will. On the 25. September, Part3 “DISINTEGRATION”, is at the same time the end of of the exhibition.
In collaboration with the Association of Arts Home, (HOA), a two-day workshop for young people aged 12 years is offered under the slogan “TAGS and THROW UPS”. Saturday and Sunday 19. and 20. September 2015 both 13 clock to 16 clock.
Register: Catherine Eisendle cat@starkart.org

Pressrelease En

• „O F F S P A C E – Speculative Tracing“
• 28. August – 25. September 2015
• STARKART – URBAN ART EXHIBITIONS
• Brauerstrasse 126, 8004 Zürich
• Opening Hours: Do / Fr 18 – 20 H, Sa 14 – 20 H
• 1. Opening: Friday, 28. August 2015, 19 H
• 2. Opening: Friday, 11. September 2015, 19 H
• 3. Opening: Friday, 25. September 2015, 19 H


O F F S P A C E // S P E K U L A T I V E // S P U R E N S U C H E

TAGS werden vom Mainstream als Verschmutzung oder bestenfalls Hintergrundrauschen wahrgenommen. Jeder kann sie sehen, doch sie interessieren niemanden. In Metropolen weltweit von den Suburbs bis in die Innenstädte wird jede Oberfläche im urbanen Raum bekritzelt. Es spielt dabei keine Rolle wann, wo, was. Werbeplakate werden genauso verunstaltet wie Fenster, Signalisationen, Strassenpfosten, Elektrokästen und Kunstwerke im öffentlichen Raum. Sie nehmen weder Rücksicht auf historische Bauten oder religiöse Einrichtungen, noch auf Architektur im Allgemeinen. TAGS sind wie ein Virus, sie breiten sich unaufhaltsam aus und zerstören das saubere Image der Städte rund um den Globus. Was kann man gegen so eine hartnäckige Plage tun? Überwachungskameras bringen so gut wie nichts. Antigraffitifarbe ist teuer und auch keine Lösung. Ständiges Putzen kann zwar demotivierend wirken, doch wenn es nicht strikt gemacht wird, ist es sinnlos. Zudem verschlingen Reinigung und Wiederinstandsetzungsmassnahmen jährlich Unsummen und belasten die Umwelt zusätzlich. Während die Stadtverwaltungen im Kampf gegen das Taggen weltweit immer neue Strategien entwickeln, haben Tagger nur ein einziges Ziel: TAGS.

Weil TAGS so einseitig wahrgenommen werden, stellt sich die Frage, ob es nicht auch eine andere Lesart gibt. Können sie nur soziale Kontexte und Konzepte repräsentieren, oder sind sie eine eigene Realität, die selbst Kontexte schafft. O F F S P A C E möchte die Ausstellungsbesucher anregen, sich vom Konzept der Repräsentation und Korrelation verabschieden und damit auch von ideologischen Zuordnungen der TAGS. Stattdessen fragt STARKART nach der Wirklichkeit, beziehungsweise nach ihrer Wirkmacht. Am Beispiel TAGS soll ihre Materialität untersucht und eine neue spekulative Denkweise veranschaulicht werden.

Spuren von Energie

Ein Tag allein ist nichts, trotzdem bilden TAGS, oft in Schwärmen auftretend, in der Stadt verteilt, kein Netzwerk oder Struktur. Sie sind das Produkt von TAGGERN, anderen TAGGERN und der Stadt mit ihren Akteure. TAGGER wollen kein neues System etablieren. Nicht zwingend abstrakt, weder Schrift noch Bild, nicht einmal unbedingt Buchstaben, müssen TAGS keine Kunstwerke oder Unterschriften sein, sind also auch kein Ausdruck von Identität. Ihre Linien müssen keinen Sinn ergeben, sie agieren weder als Zeichen noch Symbole. TAGGER wollen keinen Kontext herstellen und sehen sich auch nicht in einem solchen. Im Gegensatz zu Streetart ist TAGGEN meist kein selbstreflexiver Aneignungsprozess und somit auch keine Kritik am herrschenden System. Sie wollen den Sinngehalt der urbanen Oberflächen weder neu codieren noch vereinheitlichen. 

TAGS selber sind wie ein Sonnenbrand, Spuren von Energie. Sie erscheinen (materialisieren sich) plötzlich. Wie Quanten in der Physik – weder Welle noch Partikel – sind sie weder Kunst noch Vandalismus – oder sowohl als auch, je nachdem ob man hinschaut oder nicht. Genau wie Quantum Foam, oder Space time Foam das Universum zusammenhält, halten TAGS den Aussenraum und das soziale urbane Gefüge zusammen und sind somit die Essenz von Urbanität. Sie füllen die “Leere” mit “Etwas”.

Dieses “Etwas” ist neutral. Wie etwas Übriggebliebenes oder Hingeworfenes entstehen TAGS oft nebenbei fast zufällig. Sie sind Anhäufungen, anonymes Material, etwas Andersartiges, Zufälliges und Abwesendes  – TAGS sind O F F S P A C E. Die Unterteilung in wertvoll und wertlos ist eine anthropozentristische Erfindung. Auch das kapitalistische Wertsystem (alter Materialismus) basiert auf Fiktionen. Grundlegend sind folgende: Leben = Arbeit, Natur = Immobilien, Kaufkraft = Geld, Realität = Verhalten. Dieses “zur Ware machen/werden” verschiedener Aspekte unserer Realität beinhaltet nun eine weitere Fiktion: Zukunft = Spekulation. Spekulation wird heute gemeinhin als ein Begriff für Voraussagen im Bezug auf die Zukunft gebraucht. Die Eventualität ist Teil der ökonomischen Ausbeutung geworden. In spekulativen Finanztransaktionen an der Börse wird auf etwas geboten, was es noch nicht gibt. Aber auch am Markt für zeitgenössische Kunst werden spekulative Werte generiert. Diese Denkweise wird unter Anderem auch an solchen Institutionen wie Kunstschulen weiter vermittelt.

Ausstieg aus der Postmoderne

Das postmoderne Denksystem – ein Produkt des Katastrophenkapitalismus – sah alles als soziales Konstrukt und stellte die Realität durch Relativierung und Pluralisierung von Denkstilen und Formen in endlose Fragen. Das war mal als kritische Subversion gemeint, erwies sich aber als Sackgasse uferloser Beliebigkeit. Ein grundlegender und fataler Denkfehler der schon vor über 100 Jahren gemacht wurde und seither immer weiter reproduziert wird.

Wände im öffentlichen Raum sind ein Bestandteil des postmodernen Denksystems. TAGS auf diesen Mauern sind kein Bestandteil dieses Systems. Weil sie aber auf dieser Oberfläche haften, werden sie in Verbindung damit gebracht und dementsprechend postmodern rezipiert. Aus dieser Perspektive sind TAGS ein Symbol der gegenkulturellen Raumaneignung und eine Kritik an Verdrängungsprozessen in Städten. Damit werden sie als Teil der Gesellschaft und als subversive Kommunikationsform wahrgenommen nach dem Schema: “Sender– Botschaft – Empfänger”

Sicher haben TAGS mit Vandalismus zu tun. Sie sind aber nicht darauf reduzierbar. Diese Ansicht entsteht erst in Verbindung mit der eigenständigen Materialität der TAGS. Gegenüber der allzu heilen Welt der hegemonialen Zuweisungssysteme (TAGS = böse, Streetart = gut) die traditionelle Herrschaftsstrukturen reproduzieren, betonen sie das Unbefugte oder Ungefügte der Ansammlungen, die von Unbestimmtheit, Irritation, Eigensinn und Divergenz geprägt sind. Einzig fest steht, dass TAGS sich ständig verändern. Sie werden weggeputzt, übertaggt, übermalt, verbleichen, neue kommen hinzu. Aber gerade in dieser permanenten Auflösungs- und Neuzusammensetzungsdynamik haben sie ihre eigene Dauerhaftigkeit und Haltbarkeit. Das neue Verständnis dieser Eigenschaft, stellt den Gegensatz von Aktivität und Passivität und damit das Konzept des Handelns selbst in Frage. (Basierend auf Bennett 2012)

Neuer Realismus

Neuer Materialismus und Spekulativer Realismus oder Neuer Realismus sind unterschiedliche Namen für Strömungen in der Philosophie. Dieses Denken fordert, dass man den Dingen einen neuen Stellenwert zugesteht: von den kleinsten Partikeln über Wolken, Staub, Steine, Möbel, aber auch Lebewesen, Systeme, Informationen, Ideen, Sprachen und Kulturen, bis zu den grössten Strukturen im Universum – alle Realitäten umfassend. Es gibt nicht eine Welt, eher ganz viele verschiedene Perspektiven auf die Welt. Aber nicht alle sind sozial konstruiert, sondern die Welt existiert unabhängig von der menschlichen Wahrnehmung.

Dualismus ist das Strukturprinzip der humanistischen Traditionen. Es stellt Geist über Materie, Kultur über Natur. Daran knüpfte die Postmoderne an und wollte damit den biologischen Determinismus überwinden. Es geht nun nicht darum die Dialektik zu kritisieren, denn je mehr man sich ihr widersetzt, desto eher verfängt man sich darin. Gegen eine Idee Opposition zu beziehen, verändert ohnehin nichts. Es ist immer noch die gleiche Idee, nur mit negativem Vorzeichen. Sowieso ist “kritisches Denken” ein Mythos und wurde aus karrieristischen, egoistischen, formalistischen, institutionellen Gründen schon lange zur Ware gemacht. Neue Strukturen sind nötig. (Basierend auf Avanessian 2015)

Das Durchbrechen des dualistischen Prinzips scheint der Schlüssel zu sein – die klassische Auffassung versteht Objekte immer als Abgrenzung zu Subjekten. Die Auflösung der Unterscheidung von tot und lebendig ist dabei zentral, nicht nur die reine Übertragung des Merkmals des Lebendigen auf das was üblicherweise als tot oder unbelebt angesehen wird. Es geht darum zu verstehen, dass Materie sich in einem ständigen “Werden” oder in Transformation befindet und einen Zugang zur Welt finden, der eher über das Interesse an den Naturwissenschaften läuft. Ein experimentelles Denken von einer Welt, die auch ohne uns Menschen existiert.

Wir brauchen keine gemeinsame Denkrichtung, keine gemeinsame Idee, nur eine Abwendung vom dualistischen Prinzip. Spekulativer Realismus ist ein Versuch ohne ausreichende Vorbereitung im Jetzt, einen Sprung in die Zukunft zu wagen und sie damit zu formen. Aus der Sicht der Gegenwart ist sie nicht erkennbar. Es ist eine Bewegung, hin zu einer neuen, unbekannten Zukunft.

Wieso sammeln wir am Strand eigentlich Muscheln und nicht Abfall?

O F F S P A C E / / / S T A R K A R T
Roman Leu, August 2015

#new_materialism #speculative_realism #accelerationism #neo_materialism #neuer_realismus #new_realism #akzelerationismus #neo_materialismus #object_oriented_ontology #OOO

Ausstellungskritiken zu O F F S P A C E
Wir haben heisse 🔥 Ausstellungskritiken von Evtixia Bibassis, Babette Bürgi und Jana Vanecek zu unserer Ausstellung O F F S P A C E erhalten! Von “städtischen Blingbling” über “Zierde für hässliche Denkmäler”, bis zum “urbanen Schmutz” “alles unter einer Kapuze”. Checkt sie aus.Evtixia Bibassis: lic. phil I, Kunstgeschichte, Volkskunde und Germanistische Linguistik, Auswahlkommission Video-ExBabette Bürgi Dokumentarfilmerin und Lehrbeauftragte der Universität Zürich Institut für Sozialanthropologie und empirische Kulturwissenschaft M.A. Webseite: Babette BürgiJana Vanecek Kuratorin für Raiffeisen Kunstforum Winterthur, Kunstkritik für Ensuite – Kulturmagazin, Helmhaus Zürich, Organisation IAFFZ Zurich, ZHdK Zürcher Hochschule der Künste, F+F Kunst und MediendesignTagging done by officials

Tag sei Dank!

Ich wurde von Roman Leu gebeten, mir zur Tag-Ausstellung «O F F S P A C E – eine spekulative Spurensuche» einige Gedanken zu machen und diese auf Papier zu bringen. Die Krux dabei, ich habe die Schau zum Zeitpunkt des Schreibens noch nicht gesehen. Mir bleibt, spekulativ über den kommenden Galerien-Event zu schreiben. «Kein Problem», dacht ich mir, denn das Wort «Tag» im Kontext von Urban Art ruft sofort — und das dürfte den Starkart Galerie BesucherInnen ebenso gehen — mentale Bilder schnell gekritzelter, gekratzter, gesprayter, gepinselter, gesprühter Inschriften auf den Oberflächen von Architekturen und städtischem Mobiliar ab.

Wie ein Kommentar zur inneren Kürzelflut stellen sich Fragen um die Deutungshoheit im öffentlichen Raum ein. Wer nimmt sich und bestimmt das Recht, im öffentlichen Raum präsent zu sein Welche Form der ästhetischen Arbeit ist rechtens oder wird toleriert, weil sie ein freches städtisches Bühnendekor schafft? Welche Praxen der Raumaneignung werden kriminalisiert und als gefährliche herbei geschwatzt und geschrieben bis sie als vermeintlich leibliche Bedrohung empfunden werden? Welche Zeichen dienen der Inwertsetzung des öffentlichen Raums, ja der Zurichtung des öffentlichen Raums zu einer Konsumlandschaft für ein ausgewähltes, kauffreudiges und finanzstarkes Klientel? Welche werden verdrängt und geschmäht weil die Stadt wie ein Grossunternehmen gemanagt wird? In einer urbanen Gesellschaft in der das Shoppen als Erlebnis inszeniert und der städtische Raum von vielen bevorzugt als Mall betrachtet würde? In einer Stadt, in der eine kritische künstlerische Praxis allzu oft durch die organisatorische Geste und Setzung als warme Luft verpufft?

Übertrieben in der Argumentation bzw. in den aufgeworfenen Fragen? Augenfällig ist, das «taggen», wenn immer möglich, drastisch sanktioniert wird: von den städtischen Behörden, von den privaten Eigentümern der bearbeiteten Oberflächen und, je nach herrschendem Zeitgeist, auch von denen die bestimmen was nun Kunst bzw. Hoch-Kunst ist und der viel grösseren Schar jener, die gerne zu diesem inneren Kreis der Bestimmenden zählen würden. Paradox, dass auf der einen Seite Galerien und vom Kunstkontext anerkannte KünstlerInnen ihre Werke im öffentlichen Raum präsentieren und Raum einnehmen dürfen (aktuell die städtischen Sommerevents AAA und Aufsehen) und andererseits eine uralte Kulturpraxis, eine kulturelle Äusserung, als kriminell taxiert und mit Freiheitsentzug und Geldstrafen gebüsst wird. Nichts neues.

Unsere Gegenwart ist geprägt von Sicherheitsdiskursen und der Ästhetisierung des Alltags, der Waren und Konsumgüter. Das Kredo: Gut ist, was gut läuft, unabhängig ob Hoch- oder Populärkultur. Ein betäubendes und lähmendes Spektakel, wie es Guy Debord nannte. Eine Vereinnahmungs- und Verwertungsmaschinerie wie sie meines Wissens in dieser Schnelligkeit noch nie da war. In diesem Chaos des nahezu grenzenlosen Nebeneinanders von Möglichkeiten und der ästhetischen Äusserung und Vereinnahmungen scheinen mir die Tags wie Spuren eines gelebten Lebens: Im Jetzt des Raumes und im Jetzt des Rausches der Selbst-Ermächtigung verankert. Sie wollen mir nichts gebieten und verbieten. Sie zeugen, so sehe ich sie, von Individualität, die sich einem komplexen Mächtegemenge einschreibt. Nicht als Symptom einer Vereinzelung, eher eine zusätzliche Schichtung, im sozial produzierten Raum. Eine Schichtung die von Möglichkeitsräumen berichtet, von Wendungen und Widerstreit. Ein globales Phänomen, das dennoch äusserst lokal verortet, einen anderen Stadtraum, einen Stadtplan individueller Aneignung chiffriert. Ein wacher Zustand im Delirium des verführerischen Spektakels.

Nun werden die Tags in den Galerienkontext gestellt. Droht die Ästhetisierungsindustrie sie vollends zu vereinnahmen, der Tag-Ausverkauf? Nein, zu gewandt, wenig fassbar und archaisch sind sie. Der geschützte Galerienraum bietet aber die Möglichkeit, zumindest mir, hier mal ein grosses Danke an all die mir anonymen Taggerinnen und Tagger auszurichten: Danke für einen nüchternen und gleichzeitig verspielten Moment im alltäglichen, städtischen Blingbling.

Mitte August, 2015, evtixia bibassis
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TAG ein TAG aus

Eine Stadt ohne Tags ist wie ein Haus ohne Fenster oder ein Zebra ohne Streifen. Tags gehören zu Zürich wie das Grossmünster und die Banken. Das wird einem bewusst, wenn man durch die Ausstellung im Starkart läuft und die von Zürcher Taggern besprayten Wände sieht. Die Ausstellung eröffnet ein urbanes Mikrouniversum und widmet sich den individuellen Schriftzügen, die das Stadtbild prägen, ohne dass sie einem auffallen. Was in der Öffentlichkeit in den Hintergrund gerückt wird, steht hier im Vordergrund. Dabei geht es um Raumaneignung, um das Markieren von Wänden, Fassaden und Stadtteilen, um die Manifestierung von Besitzanspruch oder einfach um die Kennzeichnung eines Flecks mit dem eigenen Symbol. Die Spuren, die von Taggern hinterlassen werden, haben einen eigenen Lebenszyklus, der in der Ausstellung zum Ausdruck kommt. Ein individuelles Tag wird entwickelt, die schriftähnlichen Formen werden auf allen möglichen Oberflächen hinterlassen und meist ziemlich bald wieder übermalt, von neuen Tags übersprüht oder von „Schöns Züri“ entfernt.

Neben der Geschichte von Tags und frisch betaggten Staubsaugern und Sofas, zeigt Starkart die wohl unabdingbare Vermarktung von Tags in der Populärkultur und bietet für Jugendliche einen Workshop an, alles über Tags zu erfahren und eigene zu kreieren. Die Ausstellung versucht den Tags keine unangebrachte Bedeutung zuzuschreiben, oder ihnen eine Form zu geben, die es nicht gibt, sondern überlässt sie ihrer eigenen Strukturlosigkeit.
Der Begleittext ergänzt die Räume mit einem Denkanstoss zum neuen Materialismus und plädiert dafür, Materie im Wandel zu betrachten, ausserhalb dualistischer Strukturen. Es wird ein grosser Bogen zum Universum, zu kleinsten Staubpartikeln, zur Philosophie und zum Kapitalismus geschlagen, um schliesslich zurück zur Materie zu gelangen und die Postmoderne hinter sich zu lassen – alles unter der Kapuze des Taggens. Die Hinwendung zum Materiellen, genau wie der Wunsch des Umkrempelns von der Unterscheidung zwischen Kunst und Schund, Wertvollem und Müll, neu und alt, hat in den Schweizer Kunstszenen bereits Tradition, wird jedoch nun von Starkart in einer eigenen Herangehensweise und geschütztem Offspace thematisiert. Ein Besuch ist lohnenswert, die Räumlichkeiten an sich sind bereits ein Inbild moderner Urbanität, und die eigens für die Ausstellung von stadteigenen Taggern besprayten Objekten eröffnen viel Raum für spekulative Materiendiskussionen. Ein grosses Dankeschön an Roman und Catherine für die Beleuchtung einer vermeintlichen Schattenseite und ebenfalls Danke an die Tagger, die wieder Wände mit urbanem „Schmutz“ beleben und verschönern.

Nicht dran vorbeilaufen, sondern hinsehen.

Babette Bürgi, September 2015
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Eine spekulative Spurensuche

Eine Zierde für hässliche und öde Denkmäler. Dieses globale Netz zieht sich über alle Vor- und Innenstädte. Anonyme Namen von Legenden. Keine kalte Animation, sondern ein Ritual, das auf allen Objekten stattfindet. Es ist diese Leere, die ihre Kraft ausmacht. Die Linien gehen von einem auf das andere über. Unmittelbar. Überall. Wiederholend. Eine polarisierende Praxis die alle anspricht. Auch dich. Schärfe deinen Blick.

Hervorgegangen sind sie aus der Unterdrückung der urbanen Aufstände in den amerikanischen Gettos in denen die Stimmen des Widerspruchs kein Gehör fanden. Ihr Einbruch in das System brauchte weder organisierte Massen noch einen klaren politischen Standpunkt und die wilde Kraft ihrer Anhäufung irritiert bis heute das Establishement. Als dieses Phänomen zum ersten mal in Erscheinung trat, wurde es mit allen Mitteln in Beschuss genommen. Das darüber aufkommende Unverständnis drückte sich unter anderem in kultureller Ausgrenzung und ästhetischen Säuberungen aus.

Dank der forschen Aneignung der sich bewegenden Flächen von U oder S Bahnen, sprangen die Zeichen auf alle erdenklichen Oberfächen über und breiteten sich in der ganzen Welt aus. Trotz der ständigen Marginalisierung haben sie sich seit ihrem ersten Auftreten, Ende der 70er Jahre im städtischen Erscheinungsbild durchgesetzt und sind heute nicht mehr wegzudenken. Dennoch hat sich das Unbehagen, vor diesen schwarzen oder bunten Linien, bis heute noch nicht verflüchtigt, deshalb werden sie immer wieder mittels Hochdruckreiniger bekämpft . Die Stadt Zürich unterhält sogar eine eigene Einheit für ihre Beseitigung und brüstet sich mit Velo-Kontrollgängen die ihre Eindämmung gewährleisten sollen. Durch ihre gesellschaftliche Rezeption als üble Schmierereien und Verunstaltungen, als auch Markierung und Wiederaneignung des öffentlichen Raums, lösen sie beständig die Fragen nach dem Stellenwert des Eigentums und auch der Definition von Kunst aus.

Obwohl Werbung und Design Tags bereits annektiert haben, fehlt dieser Praxis jeglicher Rückhalt aus dem traditionellen Kunstbetrieb. Bereits Beuys beschwerte sich über die Reduktion des künstlerischen Ideenreichtums und freier Information auf Vandalismus. Diese Herabsetzung verhindert bis heute einen sachlichen Diskurs und das Beachten der vielfältigen Formensprachen. Selbst der einst per internationalem Haftbefehl gejagte, aber heute hochgeschätzte Zürcher Sprayer Harald Naegeli, grenzt sich gerne davon ab.

Vor diesem Hintergrund widmet sich die Starkart Gallerie erstmals in der Schweiz mit einer Ausstellung dem unerwünschten Phänomen und stellt es in ein neues Licht. Aufbauend auf den drei Themenblöcken „Entstehung“, „Vermarktung“ und „Auflösung“ verändert und erweitert sich die Ausstellung „OFFSPACE – Eine spekulative Spurensuche“ während einem Monat. Damit präsentiert sich die Schau in der Form jenes dynamischen Kreislaufs, der früher oder später jede Subkultur erfasst. Was sich unter anderem auch in der Ästhetik der Gebrauchstypografie oder der sprachlichen Konnotation des tagens auf facebook-walls niederschlägt. Innerhalb der Show werden nicht nur die historischen und gesellschaftlichen Aspekte der Tags beleuchtet. Mit dem Anspruch dem erstarrten Status Quo im Diskurs über Tags etwas Frisches entgegen zu stellen wagt sie auch eine spekulative Vorausschau und erforscht wie die Zukunft der anonymen Linien aussehen könnte.

Jana Vanecek September 2015
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Jana Vanecek, Babette Bürgi und Evtixia Bibassis
Herzlichen Dank für die Kritiken zur O F F S P A C E Ausstellung!
Roman Leu

NZZ Wider die postmoderne Flucht vor den Tatsachen

Elusive Magazine STARKART: OFFSPACE / 3RD OPENING

NZZ Exempel der Bedeutungslosigkeit?

Watson Über-das-Leben-von-«Tags»-Die-verachteten Zeichen der modernen Stadt bekommen eine eigene liebevolle Ausstellung

Strassenmagazin Surprise

Streetart Europe

News4Press

ОПИСАНИЕ

Medienmitteilung de
Pressrelease En

O F F S P A C E – Spekulative Spurensuche
• 28. August bis 25. September 2015
• STARKART – URBAN ART EXHIBITIONS
• Brauerstrasse 126, 8004 Zürich
• Öffnungszeiten: Do / Fr 18 – 20 Uhr, Sa 14 – 20 Uhr
• 1. Vernissage: Freitag, 28. August 2015, 19 Uhr
• 2. Vernissage: Freitag, 11. September 2015, 19 Uhr
• 3. Vernissage: Freitag, 25. September 2015, 19 Uhr

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