Wir haben heisse Ausstellungskritiken von Evtixia Bibassis, Babette Bürgi und Jana Vanecek zu unserer Ausstellung O F F S P A C E erhalten. Von “städtischen Blingbling” über “Zierde für hässliche Denkmäler”, bis zum “urbanen Schmutz” “alles unter einer Kapuze”. Sehr lesenswert, checkt sie aus!
Evtixia Bibassis: lic. phil I, Kunstgeschichte, Volkskunde und Germanistische Linguistik, AuswahlkommissionVideo-Ex
Babette Bürgi Dokumentarfilmerin und Lehrbeauftragte der Universität Zürich Institut für Sozialanthropologie und empirische Kulturwissenschaft M.A. Webseite: Babette Bürgi
Jana Vanecek Kuratorin für Raiffeisen Kunstforum Winterthur, Kunstkritik für Ensuite – Kulturmagazin, Helmhaus Zürich, Organisation IAFFZ Zurich, ZHdK Zürcher Hochschule der Künste, F+F Kunst und Mediendesign
Tag sei Dank!
Ich wurde von Roman Leu gebeten, mir zur Tag-Ausstellung «OFFSPACE – eine spekulative Spurensuche» einige Gedanken zu machen und diese auf Papier zu bringen. Die Krux dabei, ich habe die Schau zum Zeitpunkt des Schreibens noch nicht gesehen. Mir bleibt, spekulativ über den kommenden Galerien-Event zu schreiben. «Kein Problem», dacht ich mir, denn das Wort «Tag» im Kontext von Urban Art ruft sofort — und das dürfte den Starkart Galerie BesucherInnen ebenso gehen — mentale Bilder schnell gekritzelter, gekratzter, gesprayter, gepinselter, gesprühter Inschriften auf den Oberflächen von Architekturen und städtischem Mobiliar ab.
Wie ein Kommentar zur inneren Kürzelflut stellen sich Fragen um die Deutungshoheit im öffentlichen Raum ein. Wer nimmt sich und bestimmt das Recht, im öffentlichen Raum präsent zu sein Welche Form der ästhetischen Arbeit ist rechtens oder wird toleriert, weil sie ein freches städtisches Bühnendekor schafft? Welche Praxen der Raumaneignung werden kriminalisiert und als gefährliche herbei geschwatzt und geschrieben bis sie als vermeintlich leibliche Bedrohung empfunden werden? Welche Zeichen dienen der Inwertsetzung des öffentlichen Raums, ja der Zurichtung des öffentlichen Raums zu einer Konsumlandschaft für ein ausgewähltes, kauffreudiges und finanzstarkes Klientel? Welche werden verdrängt und geschmäht weil die Stadt wie ein Grossunternehmen gemanagt wird? In einer urbanen Gesellschaft in der das Shoppen als Erlebnis inszeniert und der städtische Raum von vielen bevorzugt als Mall betrachtet würde? In einer Stadt, in der eine kritische künstlerische Praxis allzu oft durch die organisatorische Geste und Setzung als warme Luft verpufft?
Übertrieben in der Argumentation bzw. in den aufgeworfenen Fragen? Augenfällig ist, das «taggen», wenn immer möglich, drastisch sanktioniert wird: von den städtischen Behörden, von den privaten Eigentümern der bearbeiteten Oberflächen und, je nach herrschendem Zeitgeist, auch von denen die bestimmen was nun Kunst bzw. Hoch-Kunst ist und der viel grösseren Schar jener, die gerne zu diesem inneren Kreis der Bestimmenden zählen würden. Paradox, dass auf der einen Seite Galerien und vom Kunstkontext anerkannte KünstlerInnen ihre Werke im öffentlichen Raum präsentieren und Raum einnehmen dürfen (aktuell die städtischen Sommerevents AAA und Aufsehen) und andererseits eine uralte Kulturpraxis, eine kulturelle Äusserung, als kriminell taxiert und mit Freiheitsentzug und Geldstrafen gebüsst wird. Nichts neues.
Unsere Gegenwart ist geprägt von Sicherheitsdiskursen und der Ästhetisierung des Alltags, der Waren und Konsumgüter. Das Kredo: Gut ist, was gut läuft, unabhängig ob Hoch- oder Populärkultur. Ein betäubendes und lähmendes Spektakel, wie es Guy Debord nannte. Eine Vereinnahmungs- und Verwertungsmaschinerie wie sie meines Wissens in dieser Schnelligkeit noch nie da war. In diesem Chaos des nahezu grenzenlosen Nebeneinanders von Möglichkeiten und der ästhetischen Äusserung und Vereinnahmungen scheinen mir die Tags wie Spuren eines gelebten Lebens: Im Jetzt des Raumes und im Jetzt des Rausches der Selbst-Ermächtigung verankert. Sie wollen mir nichts gebieten und verbieten. Sie zeugen, so sehe ich sie, von Individualität, die sich einem komplexen Mächtegemenge einschreibt. Nicht als Symptom einer Vereinzelung, eher eine zusätzliche Schichtung, im sozial produzierten Raum. Eine Schichtung die von Möglichkeitsräumen berichtet, von Wendungen und Widerstreit. Ein globales Phänomen, das dennoch äusserst lokal verortet, einen anderen Stadtraum, einen Stadtplan individueller Aneignung chiffriert. Ein wacher Zustand im Delirium des verführerischen Spektakels.
Nun werden die Tags in den Galerienkontext gestellt. Droht die Ästhetisierungsindustrie sie vollends zu vereinnahmen, der Tag-Ausverkauf? Nein, zu gewandt, wenig fassbar und archaisch sind sie. Der geschützte Galerienraum bietet aber die Möglichkeit, zumindest mir, hier mal ein grosses Danke an all die mir anonymen Taggerinnen und Tagger auszurichten: Danke für einen nüchternen und gleichzeitig verspielten Moment im alltäglichen, städtischen Blingbling.
Mitte August, 2015, evtixia bibassis
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TAG ein TAG aus
Eine Stadt ohne Tags ist wie ein Haus ohne Fenster oder ein Zebra ohne Streifen. Tags gehören zu Zürich wie das Grossmünster und die Banken. Das wird einem bewusst, wenn man durch die Ausstellung im Starkart läuft und die von Zürcher Taggern besprayten Wände sieht. Die Ausstellung eröffnet ein urbanes Mikrouniversum und widmet sich den individuellen Schriftzügen, die das Stadtbild prägen, ohne dass sie einem auffallen. Was in der Öffentlichkeit in den Hintergrund gerückt wird, steht hier im Vordergrund. Dabei geht es um Raumaneignung, um das Markieren von Wänden, Fassaden und Stadtteilen, um die Manifestierung von Besitzanspruch oder einfach um die Kennzeichnung eines Flecks mit dem eigenen Symbol. Die Spuren, die von Taggern hinterlassen werden, haben einen eigenen Lebenszyklus, der in der Ausstellung zum Ausdruck kommt. Ein individuelles Tag wird entwickelt, die schriftähnlichen Formen werden auf allen möglichen Oberflächen hinterlassen und meist ziemlich bald wieder übermalt, von neuen Tags übersprüht oder von „Schöns Züri“ entfernt.
Neben der Geschichte von Tags und frisch betaggten Staubsaugern und Sofas, zeigt Starkart die wohl unabdingbare Vermarktung von Tags in der Populärkultur und bietet für Jugendliche einen Workshop an, alles über Tags zu erfahren und eigene zu kreieren. Die Ausstellung versucht den Tags keine unangebrachte Bedeutung zuzuschreiben, oder ihnen eine Form zu geben, die es nicht gibt, sondern überlässt sie ihrer eigenen Strukturlosigkeit.
Der Begleittext ergänzt die Räume mit einem Denkanstoss zum neuen Materialismus und plädiert dafür, Materie im Wandel zu betrachten, ausserhalb dualistischer Strukturen. Es wird ein grosser Bogen zum Universum, zu kleinsten Staubpartikeln, zur Philosophie und zum Kapitalismus geschlagen, um schliesslich zurück zur Materie zu gelangen und die Postmoderne hinter sich zu lassen – alles unter der Kapuze des Taggens. Die Hinwendung zum Materiellen, genau wie der Wunsch des Umkrempelns von der Unterscheidung zwischen Kunst und Schund, Wertvollem und Müll, neu und alt, hat in den Schweizer Kunstszenen bereits Tradition, wird jedoch nun von Starkart in einer eigenen Herangehensweise und geschütztem Offspace thematisiert. Ein Besuch ist lohnenswert, die Räumlichkeiten an sich sind bereits ein Inbild moderner Urbanität, und die eigens für die Ausstellung von stadteigenen Taggern besprayten Objekten eröffnen viel Raum für spekulative Materiendiskussionen. Ein grosses Dankeschön an Roman und Catherine für die Beleuchtung einer vermeintlichen Schattenseite und ebenfalls Danke an die Tagger, die wieder Wände mit urbanem „Schmutz“ beleben und verschönern.
Nicht dran vorbeilaufen, sondern hinsehen.
Babette Bürgi, September 2015
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Eine spekulative Spurensuche
Eine Zierde für hässliche und öde Denkmäler. Dieses globale Netz zieht sich über alle Vor- und Innenstädte. Anonyme Namen von Legenden. Keine kalte Animation, sondern ein Ritual, das auf allen Objekten stattfindet. Es ist diese Leere, die ihre Kraft ausmacht. Die Linien gehen von einem auf das andere über. Unmittelbar. Überall. Wiederholend. Eine polarisierende Praxis die alle anspricht. Auch dich. Schärfe deinen Blick.
Hervorgegangen sind sie aus der Unterdrückung der urbanen Aufstände in den amerikanischen Gettos in denen die Stimmen des Widerspruchs kein Gehör fanden. Ihr Einbruch in das System brauchte weder organisierte Massen noch einen klaren politischen Standpunkt und die wilde Kraft ihrer Anhäufung irritiert bis heute das Establishement. Als dieses Phänomen zum ersten mal in Erscheinung trat, wurde es mit allen Mitteln in Beschuss genommen. Das darüber aufkommende Unverständnis drückte sich unter anderem in kultureller Ausgrenzung und ästhetischen Säuberungen aus.
Dank der forschen Aneignung der sich bewegenden Flächen von U oder S Bahnen, sprangen die Zeichen auf alle erdenklichen Oberfächen über und breiteten sich in der ganzen Welt aus. Trotz der ständigen Marginalisierung haben sie sich seit ihrem ersten Auftreten, Ende der 70er Jahre im städtischen Erscheinungsbild durchgesetzt und sind heute nicht mehr wegzudenken. Dennoch hat sich das Unbehagen, vor diesen schwarzen oder bunten Linien, bis heute noch nicht verflüchtigt, deshalb werden sie immer wieder mittels Hochdruckreiniger bekämpft . Die Stadt Zürich unterhält sogar eine eigene Einheit für ihre Beseitigung und brüstet sich mit Velo-Kontrollgängen die ihre Eindämmung gewährleisten sollen. Durch ihre gesellschaftliche Rezeption als üble Schmierereien und Verunstaltungen, als auch Markierung und Wiederaneignung des öffentlichen Raums, lösen sie beständig die Fragen nach dem Stellenwert des Eigentums und auch der Definition von Kunst aus.
Obwohl Werbung und Design Tags bereits annektiert haben, fehlt dieser Praxis jeglicher Rückhalt aus dem traditionellen Kunstbetrieb. Bereits Beuys beschwerte sich über die Reduktion des künstlerischen Ideenreichtums und freier Information auf Vandalismus. Diese Herabsetzung verhindert bis heute einen sachlichen Diskurs und das Beachten der vielfältigen Formensprachen. Selbst der einst per internationalem Haftbefehl gejagte, aber heute hochgeschätzte Zürcher Sprayer Harald Naegeli, grenzt sich gerne davon ab.
Vor diesem Hintergrund widmet sich die Starkart Gallerie erstmals in der Schweiz mit einer Ausstellung dem unerwünschten Phänomen und stellt es in ein neues Licht. Aufbauend auf den drei Themenblöcken „Entstehung“, „Vermarktung“ und „Auflösung“ verändert und erweitert sich die Ausstellung „OFFSPACE – Eine spekulative Spurensuche“ während einem Monat. Damit präsentiert sich die Schau in der Form jenes dynamischen Kreislaufs, der früher oder später jede Subkultur erfasst. Was sich unter anderem auch in der Ästhetik der Gebrauchstypografie oder der sprachlichen Konnotation des tagens auf facebook-walls niederschlägt. Innerhalb der Show werden nicht nur die historischen und gesellschaftlichen Aspekte der Tags beleuchtet. Mit dem Anspruch dem erstarrten Status Quo im Diskurs über Tags etwas Frisches entgegen zu stellen wagt sie auch eine spekulative Vorausschau und erforscht wie die Zukunft der anonymen Linien aussehen könnte.
Jana Vanecek September 2015
Jana Vanecek, Babette Bürgi und Evtixia Bibassis
Herzlichen Dank für die Kritiken zur OFFSPACE Ausstellung.
Roman Leu
Weiterlesen: Was ist neu am neuen Materialismus?